top of page

5.1. Nostalgie

Aktualisiert: 19. Feb. 2023


ree

Im Kontext des technizistischen und posthumanistischen Looks von Glitch Art die Nostalgie einzubringen, scheint vielleicht vorerst kontraintuitiv. Während die Glitch Art eine verhältnismässig neue Erscheinung ist, richtet sich die Nostalgie in die Vergangenheit, hin zum Gewesenen. Ich möchte hier argumentieren, dass der Erfolg von Glitch Art und die Art ihrer Verbreitung nicht nur mit den zunehmend zugänglicheren Tools für die Produktion und Distribution von Glitches zusammenhängen, sondern mit einer Form von Nostalgie, die sich spezifisch auf technische Kommunikationsmedien fokussiert und bezüglich der Glitch Art auf frühe Personal-Computer- und Internet Ästhetiken. Anhand dieser kann unter anderem erläutert werden, wie sich Glitch Art als Genre mit weiteren Stilmitteln vermengt, die ihr in Folge zugeordnet werden, ohne explizit mit Glitches oder Störungen verbunden zu sein. Die Ausgangsüberlegungen für die folgenden Thesen sind Beobachtungen und Folgerungen bezüglich des Wiederaufkommens von scheinbar obsoleten Medien:[1] Vinyl, Polaroid, CRT-Bildschirme, VHS, usw. Dies sind nur ein paar Beispiele für das, was Olivier im Kontext der anderorts angesprochenen Found Footage Horrorfilme mit "hipster analog chic" und einer "fascination with retro media"[2] bezeichnet.[3]


In seinem Buch Analoge Nostalgie in der digitalen Medienkulturgeht Dominik Schrey ausführlich auf dieses Phänomen und dessen Hintergründe ein. Bezüglich der Betitelung und in der Ausgangsargumentation verweist er dabei auf zwei Texte aus der Filmwissenschaft, in welchen die Aneignung oder Nachahmung von als analog empfundenen Effekten in digitalen Umgebungen beschrieben wird: Bei Laura Marks bezogen auf das Medium Video[4] und bei Nicholas Rombes auf das digitale Kino.[5] Das Spezielle an der Nostalgie, wie sie Schrey in Anlehnung an diese behandelt, ist, die Verbindung der Sehnsucht nach dem Vergangenen mit McLuhans Credo, dass das Medium die Botschaft ist.[6] Seine These bezieht sich insofern auf "jene Fälle […] in denen sich der Rückbezug nicht ausschliesslich in Bezug auf die archivierten Inhalte äussert, sondern auch und gerade hinsichtlich der Art und Materialität ihrer Aufzeichnung."[7] Das Objekt dieser Nostalgie ist das Medium in seiner historischen Verortung selbst, respektive die Medialität durch welche Inhalte aus der Vergangenheit in Retrospektive hervorgebracht und konstituiert wurden. Dieser Sachverhalt steht grundsätzlich quer zur These, dass Medien wahrnehmbar machen, während sie sich selbst der Wahrnehmung entziehen. [Vgl. "[…] Transparenz" in 5.2. Beyond Glitch] Im regulären Gebrauch besteht jedoch die Tendenz, dass fehlerhafte Elemente von Medientechnologien erst zum Zeitpunkt, in dem sie verschwinden oder überholt werden, als solche überhaupt erkannt oder als störend empfunden werden.


Für die Analognostalgie bei Schrey werden diese neuen, auf die Rückständigkeit der alten hinweisenden Technologien allgemein unter der Digitalität subsumiert. Nach seinen Darlegungen bringt die steigende Zugänglichkeit zu Zeugnissen der Vergangenheit in Kombination mit dem wachsenden Tempo im Wandel ihrer medialen Verfasstheit Nostalgie hervor. Er spricht von einem "goldene[n] Zeitalter für die Nostalgie eben jenen – vermeintlich – obsoleten oder gar 'toten' Medien gegenüber, die in gleichsam gespenstischer Präsenz unsere vergangenheitsbesessene zeitgenössische Medienkultur heimsuchen."[8]

Um ein anderorts angesprochenes Beispiel herbeizuziehen: Viele der Found Footage Filme, die Olivier beschreibt verbinden in ihren Narrativen traditionelle Elemente des Gothic Horrors mit Artefakten von aussterbenden Medientechnologien, wie etwa Videokassetten oder Filmrollen.[9] Geister als Monster und Geister als Medien besiedeln in ihnen Seite an Seite das Bild. Aber diese Medien, die durch die Filme geistern und in ihnen für die Präsenz von Spukgestalten stehen sind eben gerade nicht ausgestorben, respektive tot. Wie die Geister selbst besetzen sie Orte, die Schwellen und den Verlauf der Zeit markieren. Peters schreibt dazu:


"Obsolescence has an importantly different sense than disappearance or destruction – it is precisely the persistence of the thing in a straitened or muted role, not its vanishing, that defines obsolescence. Things are obsolete when they fall out of love or out of use, not when they cease to exist."[10]


Dieser Linie folgend, lässt sich die Nostalgie, die vom empfundenen Umbruch zwischen Analog und Digital genährt wird, nochmals ummünzen. Wenn die Geschichte der Medien im 20. und 21. Jh. nicht an den beiden Zeitaltern von Analog und Digital gemessen wird, sondern an einer Kommunikationstechnologieentwicklung, deren Vorzeichen die Rauschreduktion ist[11] – innerhalb derer die Digitalisierung sicherlich eine tragende Rolle spielt –, dann lässt sich die Analognostalgie als Figur übernehmen und auf eine medienbezogenen Techniknostalgie generell ausweiten. Dadurch werden gewisse ihrer Argumente auch für aktuellere, respektive kürzer zurückreichende Nostalgiemomente anwendbar. Es gibt folglich nicht nur remediatisierte Analognostalgie im Digitalen, sondern innerhalb des Digitalen eine Nostalgie, die darum nicht weniger analoge Elemente einbezieht. [Vgl. 3.5. Digital & Analog] Diese verweist aber nicht auf die klassischen analogen Medien, sondern auf obsolete technische und ästhetische Elemente von als digital empfundenen Kommunikationsmedien. Als eine "'home computer' retro aesthetic"[12] umfasst diese Nostalgie Dinge wie ältere Betriebssysteme, HTML-Webbrowser, Standard-Auflösungen, 3D-Animationsverfahren, Dateicodecs, usw. Goriunova & Shulgin merken diese Tendenz in ihrem Artikel über Glitch Art kurz an, ohne jedoch die Nostalgie anzuführen, oder weiter darauf einzugehen. Sie konstatieren: "Returning to a genuine computer aesthetics of obsolete technology is not a question of individual choice, but has the quality of a communal, social decision."[13] Dabei sprechen sie explizit von einer Software Ästhetik, die jedoch mit technologischen Limitationen zusammenhängt, welche sehr wohl durch die Hardware mitbestimmt sind. Moradis Argumentation ist in dieser Hinsicht visionärer: "Those who speak about digital being a lifeless medium for film are completely missing the aliasing, video artefacts and low resolution that will in the near future be appreciated as they become superseded by a more pristine digital and higher resolution video medium."[14] Die Kunst von Cory Arcangel liefert für dieser Figur von digitaler Nostalgie interessante Beispiele.[15] Ähnlich verortet sich diesbezüglich auch das mittlerweile sehr einflussreiche visuelle Genre von Vaporwave, worin zahlreiche Verweise auf Medien der frühen Personal Computer Ära inkludiert werden.

ree
Giphy420.gif

Bezüglich der Glitch Art zeigt sich das anhand einer Reminiszenz, die nicht zuletzt wieder ihre Verbindung zur Netzkunst betont. In der von Unternehmen und High-End Websites dominierten Landschaft des gegenwärtigen Internets, die geprägt ist von hoher Funktionalität und höchstens simulierter Partizipation, referenziert die Glitch Art auf eine vergangene Zeit, eine "DIY nature of the early web, where everything was smaller, from the communities to the design itself."[16] Im medienarchäologischen Projekt One Terabyte of Kilobyte Age[17] von Olia Lialina und Dragan Espenschied, in dem Screengrabs von alten GeoCities-Websites automatisch zu einem Archiv hinzugefügt werden, lässt sich erahnen, wie die frühe HTML-Internet Ästhetik und die Glitch Art Hand in Hand gehen. Beide zeigen, dass "[the] slick, pixel polishing, drag-and-drop perfectionism"[18] der digitalen Ära bei Weitem kein universelles Gesetz ist.


Insofern ist auch die für gewisse Positionen der Analognostalgie relevante Haptik, "eine besondere Materialität […] was in Zeiten angeblich körperloser digitaler Dateien besonders geschätzt wird",[19] mehr eine Konsequenz aus den Medien, auf die sich die Nostalgie bezieht, als ein Faktor für die Nostalgie selbst. Auch wenn sich dieses Element beispielsweise in Redewendungen besonders stark hält: "To hold old time, we need to treasure old media."[20] Vielmehr ist diese Haptik ein möglicher Aspekt der Materialität innerhalb der Nostalgie, aber keineswegs konstitutiv. Während sich die Filmrolle oder die VHS-Kassette berühren lassen, ist beispielsweise deren Körnigkeit nicht ein explizit haptischer Aspekt. Der Kern dieses Arguments ist dann bloss, dass Datenträger immer eine materielle, anfassbare Grundlage haben, die irgendwo gelagert werden muss, unabhängig davon, wie viele flüchtige Metaphern verwendet werden. Die Materialität der Medien – und das Wort ist möglicherweise etwas fehlleitend – ist dementgegen insofern von Relevanz, als dass sie auf ihre Gemachtheit verweist und darauf hindeutet, dass sie in einem technischen, materiellen und sozialen System unter gewissen Bedingungen entstanden ist. So interveniert die Figur des Glitches in die Argumentation, dass Nostalgie des Analogen im Digitalen bloss mit der fehlenden Materialität des Letzteren zu tun hätte. “The message of the glitch is that there is no escape from materiality.”[21] Vielmehr ist das Digitale und Digitalisierte – und dadurch trägt gerade diese Distinktion grundlegend dazu bei – in seiner materiellen Beschaffenheit deutlich effektiver, die eigenen Spuren der Materialität zu verbergen. Obwohl auch hier die Brille der Retrospektive entzaubernde Resultate liefert.

Die Materialität, die Glitches erkennen lassen, ist im Gegensatz zu gewissen Beispielen von analogen Medien nicht eine, welche sich durch die retroaktive sensorische Ausweitung erkennbar macht – im Fall von photochemischen Prozessen beispielsweise auf verloren gedachte haptische und olfaktorische Reize –, sondern eine logische und nicht zuletzt ideologische: Eine Erkenntnis der Bedingungen der Produktion, des Gemachtseins und damit einhergehend eine Demystifizierung oder Entfetischisierung.


Die hier vorgenommene medienkulturelle Analyse der Nostalgie steht keineswegs in Kontrast zu einer beispielsweise techniksoziologischen von Applikationen und sozialen Medien. Vielmehr ist es ein Wechselspiel von dem beschriebenen Verlangen nach analogen oder früheren digitalen Artefakten auf der einen Seite mit der Verbreitung von Tools, die ermöglich ebenjene einfacher zu kreieren, auf der anderen. Wenn die Kontrollphantasmen in berechneten Systemen einen Wunsch darstellen, nach einem "anderen wirklichen Raum, der so vollkommen, so sorgfältig, so wohlgeordnet ist wie der unsrige ungeordnet, missraten und wirr ist"[22], dann steht die Glitch Art für den Wunsch, dieser Unordnung und Ordnungsschaffung gegenüber ehrlich zu sein und der Rückgriff auf die Vergangenheit liefert die Argumente. "Das digitale Bild hat ein Problem: Es wirkt zu perfekt."[23]

[1] Eine spannende Auseinandersetzung mit dem Thema ist das Projekt "Museum of Obsolete Media" https://obsoletemedia.org/ (Stand: 17.02.2023). [2] Olivier, 2015: S. 265. [3] Zur Verbindung der Hipster-Subkultur mit der Nostalgie vgl. Schrey, 2017: S. 109 ff. [4] Vgl. Marks, 2002: S. 147 ff. [5] Vgl. Rombes, 2009. [6] Vgl. McLuhan, 1992: S. 17 ff. [7] Schrey, 2017: S. 12. [8] Ebd.: S. 11. [9] Vgl. Olivier, 2015: S. 264 f. [10] Peters, 2015: S. 90. [11] Vgl. Manon & Temkin, 2011: S. 11. [12] Moradi, 2004: S. 19. [13] Goriunova & Shulgin, 2008: S. 113. [14] Moradi, 2004: S. 72. [15] Z.B. Cory Arcangel. Super Mario Clouds. 2002. https://coryarcangel.com/things-i-made/2002-001-super-mario-clouds (Stand: 17.02.2023). Dieses Werk entblösst zugleich vorschnelle Trennungen zwischen analog und digial, wie auch zwischen Hardware und Software. [16] Chayka, Kyle. The Great Web 1.0 Revival. (Gizmodo). 2014. https://gizmodo.com/the-great-web-1-0-revival-1651487835 (Stand: 17.02.2023). [17] One Terabyte of Kilobyte Age Photo Op. (Tumblr). https://oneterabyteofkilobyteage.tumblr.com/ (Stand: 17.02.2023). [18] Manon & Temkin, 2011: S. 11. [19] Schrey, 2017: S. 254. [20] Peters, 2015: S. 90. [21] Olivier, 2015: S. 267. [22] Foucault, 1991: S. 45. [23] Flückiger, 2004: S. 407.

bottom of page