top of page

4.3.2. Untitled Game (1996-2001)

Aktualisiert: 19. Feb. 2023


JODI. untitled-game Ctrl-Space. Zur Website (Stand: 17.02.2023)



Das zweite exemplarische Werk an der Schnittstelle von Glitch Art und Games ist die Untitled Game (1996-2001) Reihe von JODI.[1] Der Einfluss dieses subversiven Künstler:innen-Duos und der net.art-Bewegung kann für die Glitch Art und generell für einen Grossteil der Medienkunst danach kaum zu hoch eingeordnet werden. Neben vielen anderen wurde etwa Rosa Menkman durch JODI dazu inspiriert, sich mit Glitch Art auseinanderzusetzen: "I did not realize it then, but my taste for glitch, and for its potential to interrogate conventions through crashes, bugs, errors and viruses, was spawned by that initial and persistent critical evasion of Untitled Game from my theoretical grasp."[2]


Unter dem Titel Untitled Game (1996-2001) wird eine Serie von vierzehn Modifikationen des Firstperson-Shooter-Computerspiels Quake (1996) zusammengefasst. Die Reihe, sowie die einzelnen Stücke sind schwer greifbar und eine Erkundung der Programme lässt schnell nachvollziehen, wieso Untitled Game für Verwirrung und Unsicherheit sorgt und sich dabei einer vorschnellen Analyse entzieht. Supplementiert wird dieser Zustand durch die Absenz von Erklärungen seitens der Künstler:innen, die einen Hinweis auf Funktion, Kontext oder Sinn liefern könnten.[3] Wer die unterschiedlichen Anwendungen öffnet, um die Modifikationen zu spielen, sieht sich mit Desorientierung konfrontiert, die jegliche Erwartungen an ein Spiel des Genres von Quake zerfallen lässt – wenn nicht generell die Erwartungen daran, was ein Spiel ist und tut. Während JODI die grundlegende programmierte Logik des Shooters als Ausgangspunkt genommen hat, sind deren Abänderungen auf jeweils einzelne Aspekte konzentriert. Hauptsächlich ist dies die grafische Darstellung, respektive der dafür verantwortliche Code, wodurch wiederholt ein starker Kontrast zwischen der minimalistischen und verfremdeten visuellen Umgebung auf dem Bildschirm und den komplexen Soundscapes entsteht, an welchen nichts verändert wurde.[4]Dirk Paesmans von JODI meint diesbezüglich: "[W]e decided to leave this ugly, this gore, totally gothic sounds, fitting with the older graphics, the Quake graphics. […] We wanted these sounds as a contrast because we thought they would make a good mix."[5]


Bei Arena, einem der Mods, sehen sich Spieler:innen mit einem weissen Bild konfrontiert. Während gewisse Elemente wie die Lebensanzeige oder das Menu noch wahrnehmbar und mit einem bestimmten Hintergrundwissen lesbar sind, wurden alle grafischen, diegetischen Elemente auf eine weisse, leere Fläche des Computerbildschirms reduziert, respektive – wie eine genauere Analyse des zugrundeliegenden Codes von Lisa Adang offenbart – so angepasst, dass sie sich in dieser flächigen 2D-Darstellung auflösen und verstecken:


"[…] all of the elements from Quake are present in Arena, including a fully rendered 3D space. They are invisible simply because they are devoid of value and hue. This includes the presence of polygonal walls that restrict navigation and respond perspectivally, as well as the files linked to the presence of objects and characters within the game. The sounds of Arena are also remnants from Quake."[6]


Das, was viele als Markenzeichen von Quake und auch von dem ebenfalls von JODI bearbeiteten Wolfenstein 3D (1992) ansehen, was sie von anderen Spielen zu der Zeit und Vorhergehenden unterscheidet, wird dabei zum Ausgangspunkt der Remodellierung. Beide Spiele wurden von John D. Carmack, John Romero und dem Team von Id Software aus Richardson, Texas entwickelt und zählen unter anderem mit Doom (1993) zu den ersten voll gerenderten, dreidimensionalen Polygon-Spielumgebungen, in welcher sich die Umgebung und Objekte um die Perspektive der Spielenden anordnen können und dabei einen beweglichen Fluchtpunkt der Perspektive hervorbringen.[7] Die Illusion des Bildschirms, die einen Raum darin oder dahinter suggeriert, der zwar existiert, aber nur als Code und Pixel, wird im Werk von JODI dekonstruiert, indem die Tiefenwahrnehmung des Dargestellten wieder auf die Fläche der Darstellung reduziert wird. Die Fenstermetapher, derer sich Computerspiele bedienen, um Immersion zu schaffen, zerbricht. Das modifizierte Spiel wird unspielbar, jedoch nur im Verhältnis zu den Konventionen, welche von Spielen wie Quake erst hervorgebracht werden. Die Bedienung und die Rechenprozesse funktionieren relativ regulär weiter, während die Spieler:innen ihrer Kontrolle beraubt werden, welche normalerweise über ein geregeltes Blick- und Steuerungsregime konstituiert ist und dadurch zur Orientierung verhilft. Beispiele hierfür finden sich nicht nur in der Logik der Zentralperspektive, sondern auch im Einsatz von Karten und der Vogelperspektive oder in der Anordnung in Ebenen mit einem Vorder- und Hintergrund, durch welche gleichwohl die Relevanz von platzierten Objekten bestimmt werden kann. In Schleiners Review zu Untitled Game wird dieser Verlust ausgeführt:


"Unlike ID Software, the original designers of Quake, JODI search for beautiful bugs in the system, to make glitches happen that weren’t supposed to, to tweak the game, even to demolish it. When I push the spacebar to jump in E1M1AP instead the world rotates uncontrollably. In G-R the screen refreshes non-stop with bright RGB colors, (no navigation at all). In Ctrl-9 and Ctrl-Space, navigation and looking about generate undulating black and white moire patterns. […] In E1M1AP, when I hit the space bar to jump, I summersault into an extended disorienting twirl. Output far exceeds input. Or the program becomes the performer, I am no longer player god in control—I must concede some of my agency to the code."[8]


Der Entzug der visuell geprägten kognitiven Feedbacklogik des Computerspiels wird dadurch zu einem Hauptthema des Werks. Was Computerspiele normativ aufbauen und zu Konventionen von Spielen machen, wird von Untitled Game dekonstruiert, wodurch wiederum rückwirkend neu verhandelt wird was ein Spiel ist. Ziele, Belohnungen und Konsequenzen der Spielhandlungen sind nicht mehr klar definiert und erkennbar.[9] In den Untitled Game Mods unterbricht JODI die konventionellen und hegemonialen Ströme von Informationen in einem kommerziellen Mediensystem. Dadurch wird die Wahrnehmung der User:innen und Konsument:innen gegenüber diesen Systemen und Technologien selbst modifiziert. In der Veränderung der Beziehungen zwischen spezifischen Medienfunktionen und der erwarteten ästhetischen Erfahrung derselben entsteht somit ein ideologisches Argument, mit dem unter anderem an proprietärem Design Kritik ausgeübt wird.[10]


"Most of our works have opponents;" sagt Dirk Paesmans über Untitled Game, "our work is always against something […] This work, Untitled Game, was against Quake. […] to call it Untitled Game [meant that it] was just a prototype [of] any of [these] games with this kind of standard ways of construction and elements and things you can do as a user."[11]


Mit Untitled Game öffnet JODI den Diskurs über verschiedene Elemente des Computerspiels im Kontext von Glitch Art. Einerseits werden normative Computerspielziele hinterfragt, die auf Vorstellungen von Wettbewerb und Verbesserung bauen und Gewalt als Mittel zum Ziel rechtfertigen. Gleichzeitig wird gezeigt, wie diese werttragenden Konventionen in der Software der Spiele eingebettet und damit Teil der Affordanz dieser Computerprogramme sind.[12] Doch Affordanz ist nicht deterministisch und so zeigt JODI andererseits, dass Software mehr ist als ein vorprogrammierbares und fixierendes Werkzeug. Sie ist, wie Rosa Menkman schreibt, eine Materialisierung von sozialen Modalitäten, die darüber hinaus endlos neu modifiziert werden kann, um diverse Schlussfolgerungen zu ziehen.[13] Aus einem Shooterspiel mit numerisch messbarem Erfolg wird eine psychedelische, desorientierende, spielerische Erfahrung – eine Transformation, welche die spieltheoretische Unterscheidung zwischen paiada und ludus bei Caillois anklingen lässt. Paiada beschreibt dabei spielerische Ablenkung, freie Improvisation und Turbulenz – ein Kind, dass sich im Kreis dreht, bis Schwindel einsetzt –, während ludus Spiele umfasst, die mit arbiträren und gleichzeitig imperativen Konventionen, respektive Regeln formiert sind, wie beispielsweise Schach.[14] Beide Begriffe beschreiben dabei Pole auf einem Spektrum und nicht jedes konkrete Beispiel muss oder kann exakt einem der beiden Enden zugeordnet werden. Es stellen sich die beiden gegenüberliegenden Fragen, wieviel der spielerischen Freiheit durch Regeln und Kontrolle entwendet werden kann, bevor das Spiel aufhört ein Spiel zu sein.[15] Und wie viele der Regeln und Kontrollmechanismen ausgehebelt werden können, bevor das Spiel nur noch ein interaktiver audiovisueller Trip ist.


Untitled Game ist nicht nur als Glitch Art der frühen Stunde ein wichtiges Beispiel, sondern auch aus dem Grund, dass es repräsentativ für viele Aspekte der Glitch Art einsteht. Da JODI weder Beteiligte in der Produktion der modifizierten Spiele noch gelernte Programmierer:innen sind, folgte ihre Veränderung des Codes einer Trial-and-Error-Strategie.[16] Diese ist in der Glitch Art Produktion verbreitet, weil die Logik hinter den Systemen, Codes, Programmen und Dateien häufig entweder geschützt ist oder so komplex, dass sie Einzelpersonen, selbst wenn sie vom Fach sind, kaum bis ins Detail verstehen können, geschweige denn kontrollieren. "The switch from control systems to exploration systems seems to me now inevitable."[17] Gerade darin liegt der explorative Charakter von Glitch Art, welcher in der Produktion von Störungen Funktionsweisen aufdeckt, die danach adoptiert und reproduziert werden können. Diese Tatsache erklärt auch teilweise, wieso sich ein grosser Teil der Glitch Art mit eher älteren, zugänglicheren Technologien auseinandersetzt und dadurch absichtlich oder nicht Nostalgiemomente einführt.


Ausserdem zeigt Untitled Game, wie Glitch Art keinen bezeichneten Ort innerhalb eines bestimmbaren Mediums hat. Die Art und Weise, wie Glitch Art rezipiert wird, der kuratorische, formale und technische Kontext variieren von Betrachter:in zu Betrachter:in und sind ehrlicher bezüglich ihrer Non-Identität über die Zeit und den Raum. Dazu beigetragen hat nicht zuletzt, dass die Sammlung seit ihrer Publikation im Jahr 2001 öffentlich verfügbar ist und über die Website zum Download freisteht. Des Weiteren wurde eine Version über eine Begleit-DVD verteilt, die zusammen mit dem Mute Magazine's The Art Issue herausgegeben wurde.[18]



ree
Mute, Vol 1, No. 22 ("The Art Issue"). 2001.

Als Konsequenz dieser Öffnung wurde Untitled Game über diverseste Soft- und Hardware-Setups rezipiert und wird dies auch weiterhin:


"[…] while Untitled game is limited to a smaller supported range of operating system environments based solely on the format of the files, the possibilities of historic hardware configurations are limitless. these include a range of monitors of different sizes and qualities, and many different models of input devices such as joysticks, mice and keyboards."[19]


Die Fragen um Konservierung und Emulation von digitalen oder digitalisierten Werken gehen dabei selbstverständlich weit über die Glitch Art hinaus: "In the conservation of mass-distributed born-digital artworks there simply is no single definitive, authentic experience because of the fundamental Reliance on participant-side technology."[20] Diese Sachverhalte sind im Kontext von Glitch Art jedoch speziell interessant, da verschiedene verfestigte Konzepte in ihr hinterfragt und evident ausgehebelt werden. Neben der Glitch Art ist diesbezüglich wiederum das Computerspiel relevant, da es einige der Eigenschaften teilt und die Interaktivität, die eine Glitch Art Produktion oder Performance impliziert auf die Ebene der Konsumation bringt.

[1] Untitled Game lässt sich über die offizielle Website herunterladen, wo auch Beispielvideos der verschiedenen Mods einsehbar sind: https://untitled-game.org/ (Stand: 17.02.2023). Eine Vorstellung durch die Künstler:innen selbst findet sich in folgender Aufnahme am Department of Film, Video, and New Media der School of the Art institute of Chicago in der Reihe “Conversations at the Edge": https://vimeo.com/10646976 (Stand: 17.02.2023). [2] Menkman, 2011b: S. 7. [3] Vgl.ebd.: S. 38. [4] Vgl. Electronic Arts Intermix. Untitled Game. Modifications of Video Game (Quake 1). JODI. https://www.eai.org/titles/9872 (Stand: 17.02.2023). [5] Paesman, Dirk zit. nach: Menkman, Rosa. Beauty in the Age of digital Art; aesthetic poetic or rhetoric, June 2006. http://rosa-menkman.blogspot.com/2006/05/beauty-in-age-of-digital-art.html (Stand: 17.02.2023). [6] Adang, 2013: S. 26 f. [7] Vgl. ebd.: S. 11. [8] Schleiner, Anne-Marie. 2 Reviews: Untitled Game and Ego Image Shooter. 2002. https://rhizome.org/community/42930/ (Stand: 17.02.2023). [9] Vgl. Adang, 2013: S. 27. [10] Vgl. Menkman, 2011b: S. 38. [11] Paesmans, Dirk zit. nach: Menkman, Rosa. Beauty in the Age of digital Art; aesthetic poetic or rhetoric, June 2006. http://rosa-menkman.blogspot.com/2006/05/beauty-in-age-of-digital-art.html (Stand: 17.02.2023). [12] Zum Begriff der Affordanz vgl. Norman, 2013. [13] Vgl. Menkman, 2011b: S. 40. [14] Vgl. Caillois, 2001: S. 13 & 27ff. «2. From Turbulence to Rules». [15] Vgl. Krapp, 2011: S. 82. [16] Vgl. Adang, 2013: S. 13. [17] Sonami, 2014. [18] Vgl. Adang, 2013: S. 7. [19] Ebd.: S. 8. [20] Ebd.: S. 8.


bottom of page