top of page

4.2.1. Wound Footage (2009)

Aktualisiert: 19. Feb. 2023



Fleisch, Thorsten. Wound Footage. 2009.


Nicht erst der digitale Film, aber dieser in einem erneuten Ausmass, hat aufgezeigt, wie verschachtelt und diffus das, was oft als Medium oder Medienspezifik gedacht wird, in Verbänden agiert. Dabei wird eine Argumentation aufgegriffen, die – allgemeiner formuliert – den Computer miteinbezieht und diesen auf theoretischer Ebene als formalen Apparat denkt, der aus verschiedenen Kanalübertragungsvorgängen ein generelles Modell abstrahiert.[1] Diese Einebnung erfordert eine Rekonzeptualisierung des Mediums, welche über die "modernist medium specifity"[2] in hybride Wesen übergeht respektive akzeptiert und darauf aufbaut, dass es Medien nicht im substanziellen und historisch stabilen Sinn gibt.[3] Eine modernistische Medienspezifik bestände darin, dass ein Medium durch seine physische Substanz bestimmt ist; seine einzigartige Essenz beibehält, die durch intrinsische materielle Qualitäten festgelegt wird; und die spezifische Natur eines Mediums die korrespondierenden Kunstausdrücke und -forschungen diktiert.[4]

Exemplarisch für diese Vermengung und die einhergehende Komplexität lässt sich das Werk Wound Footage von Thorsten Fleisch aus dem Jahr 2009 aufführen. In einer Kaskade von teils absichtlichen, teils unerwarteten Zerstörungen setzt er eine Bewegtbildaufnahme diversen Prozessen aus, die zuerst das Zelluloid und danach die digitale Datei auf verschiedene Arten angreifen und deren vorgesehene Übermittlungsweisen zerbrechen. Hier von unterbrechen zu sprechen, wäre wohl eine Untertreibung und zugleich stehen die kontinuierlichen Einwirkungen der Störungen auf das Material im Kontrast zum flüchtigen Auftreten von Glitches, während die Ästhetik sofort die Assoziationen zur Glitch Art hervorruft, die mit einer materialistischen Tradition des Experimentalfilms überblendet wird. Eine klarere Einsicht verschafft die Beschreibung des Künstlers selbst.[5]


In einem ersten Schritt wurde der visuelle Träger, das Zelluloid, ein gefundener Super 8 Film, auf verschiedene Weise angegriffen. Mit Kratzern, Schnitten und weiteren Misshandlungen wurde eine materialistische Tradition des Experimentalfilms aufgerufen, die etwa Bilder von Stan Brakhage evoziert,[6] in denen auch Bugs eine Rolle spielen oder diejenigen von Len Lye, worin die Beleuchtung anhand der profilmischen Realität durch eine direkte physische Einwirkung auf das Filmband ersetzt wird.[7] Auf diese Eingriffe folgend hat Fleisch einen Versuch unternommen, das lädierte Filmmaterial über einen Projektor zu projizieren, wobei dieses verbrannt ist – ein Ereignis, das vielleicht zu erwarten war, aber definitiv nicht planbar oder bis ins Detail vorhersehbar. Das gescheiterte – oder gelungene – Screening wurde in einem digitalen Video festgehalten. Dieses digitale Video hat Fleisch wiederum in seiner Codierung bearbeitet, so dass Pixel disloziert und Pixelblöcke fälschlich darstellt wurden. Im letzten Schritt kam eine erneute Wiederaufnahme des Bewegtbildes ab einem Monitor hinzu, an dessen Verbindungskabel zum Computer Fleisch während der Aufzeichnung intervenierte, wodurch dieser Schritt Scan-Lines nebst elektronischen Flicker-Effekten produzierte. Die resultierenden Eindrücke im Video sind eine Überlagerung von Störungsmomenten und gleichzeitig Zeugen, die auf die Koexistenz der materiellen Spuren verschiedener Medientechnologien hinweisen: "emulsions, tints, and grains as markers of celluloid on the one hand, and pixelated colors, gemoetric forms, and the unreal surface textures derived from different (high or low) definitions of digital video on the other."[8] Das Endprodukt stellt dabei eine zusammenfallende Reihe von Misshandlungen und Dysfunktionalitäten dar, während es zugleich auf die Serien von Aufnahme, Speicherung und Wiedergabe und die sich an jedem Punkt miteinschreibenden Technologien verweist.

Diese Beschreibung offenbart, dass mediale Bilder nicht mehr immer dem einen oder anderen Kontext zugeordnet werden können. In der Glitch Art können einzelne konkrete Einsätze von Störungen mit einer Nachbearbeitung einhergehen, die so schlicht sein kann, wie die Auswahl des Rahmens und so komplex, wie die Überarbeitung der Glitch Artefakte mit einer beliebigen Menge an Effekten und weiteren Störelementen. Für den digitalen Film bedeutet das, dass ein visuelles, bewegtes künstlerisches Werk gleichzeitig Film, Kino, Videokunst und Digitale Kunst sein kann. Diese doppelte Ebene von digitalen Videos als möglicherweise digitalisierte Filme in ihrem visuellen Ausdruck integriert einerseits photographische Repräsentation und transformiert diese, wie wir im nächsten Beispiel sehen werden, andererseits radikal nach den Regeln, durch welche die diskreten Elemente, die Pixel und die Frames, angeordnet und manipuliert werden.

[1] Vgl. Winthrop-Young, 2018: S. 140. [2] Ricardo, 2016: S. xi. [3] Vgl. Engell & Vogl, 1999: S. 10. [4] Vgl. Kim, 2016: S. 4. [5] Die Erläuterungen des Prozesses sind aus der Videobeschreibung auf Vimeo entnommen. Vgl. Fleisch, Thorsten. Wound Footage. 2009. https://vimeo.com/4741823 (Stand: 17.02.2023). [6] Vgl. Kim, 2016: S. 100. [7] Vgl. Smythe, 2013: S. 77 ff. [8] Kim, 2016: S. 107.

bottom of page