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4.3.1. Digital TV Dinner (1979)

Aktualisiert: 19. Feb. 2023


Fenton, Jamie Faye. Digital TV Dinner. 2009 [1979].


Digital TV Dinner aus dem Jahr 1979 steht nicht zuletzt aufgrund seiner hybriden Entstehungs- und Verbreitungsgeschichte zwischen Videokunst und Computerspiel an einer Stelle, die ihm oft den Titel eines der ersten, wenn nicht des ersten dokumentierten Beispiels von Glitch Art zukommen lässt. Es handelt sich dabei um einen Zusammenschnitt von aufgenommenen Glitches einer Videospielkonsole, der Bally Astrocade, welche dadurch hervorgerufen wurden, dass an der Spielkassette gerüttelt wurde, während diese gelesen wird – ein Vorgehen, das später mit Cartridge Tilting betitelt wird.[1] "Popping out the cartridge while executing code in the console ROM created garbage references in the stack frames and invalid pointers, which caused the strange patterns to be drawn."[2] schreibt Jamie Fenton, die Digital TV Dinner zusammen mit Raul Zaritsky und Dick Ainsworth, der für das Audio zuständig war, kreiert hat. Diese frühe Glitch Studie wurde ursprünglich für das Electronic Visualization Event #3[3] aufgenommen und ist darin als Teil einer Sammlung von Video- und Computerkunstwerken erschienen.[4]

Electronic Visualization Event #3. 1978. Diese Sammlung zeigt eine Version von Digital TV Dinner, die ein Jahr früher erschienen ist, als die weiter oben eingebettete. Sie beginnt bei 27:41. Der Hauptunterschied liegt beim Voice-Over, welches hier noch nicht vorhanden ist.


Während diese Sammlung zeigt, dass es sich bei der Auswahl der Werke um eine Form von visueller Musik handelt,[5] die an frühere Avant-Garde Filmexperimente, wie beispielsweise diejenigen von Walter Ruttmann, Viking Eggeling, Hans Richter oder Len Lye erinnern, scheint die Musik doch jeweils sekundär, das Bild begleitend. Teils mögen die Signale der Tonspur als Input für die Steuerung der Effekte des Bildes genutzt worden sein, doch stellt nicht zuletzt der Titel der Sammlung das Visuelle in den Vordergrund. Nicht (nur) die Musik wird visualisiert, sondern elektronische Prozesse und Programmierungen werden sichtbar gemacht, neue visuelle Technologien vorgestellt und traditionshalber ist das Bild von einer Tonspur begleitet.[6] Bei Digital TV Dinner ist die Verbindung von Bild und Ton auf eine eigene Art interessant, die gleichsam damit zusammenhängt, wie sich das Stück von allen anderen der Sammlung unterscheidet. "Digital TV Dinner is a collection of these curios states of silicon epilepsy set to music composed and generated upon this same platform."[7] Während die übrigen Filme in der Sammlung Produkte von intendierten, programmierten Strukturen sind, ist Digital TV Dinner die Konsequenz einer mehr oder minder willkürlichen Disruption von ausgeführtem Code durch den Eingriff von Menschenhand. In der für die genannte Sammlung produzierten Version begleitet eine Erzählstimme die ersten Sekunden:


"This piece represents the absolute cheapest one can go in home computer art. This involves taking a 300$ video game system, pounding it with your fist so the cartridge pops out while it's trying to write the menu. The music here is done by Dick Ainsworth using the same system but pounding it with your fingers instead of your fist."[8]


Durch Eingriffe in die Funktionsweise des Geräts auf der materiellen Ebene wurden hier sowohl visuelle wie auch auditive Glitches erzeugt. Die Bilder und Klänge von Digital TV Dinner zeichnen sich dadurch aus, dass sie explizit nicht durchgehend intentional gestaltet sind. Sie sind mit Störungen, Gewalt und Unterbrechungen des Informationsflusses entstanden und können schliesslich als Aufnahmen einer performativen Kunst verstanden werden. Performativ ist diese insofern, als dass die Spielkonsole bedient wird, ähnlich wie ein Musikinstrument und dass es sich dabei um eine interaktive und interventive Auseinandersetzung mit der Medientechnologie handelt.


Dass ein technisches Gerät hier als Musikinstrument bezeichnet werden kann, wird natürlich dadurch nahegelegt, dass mit dem Druck durch die Hände und Finger Inputs gegeben werden, die unter anderem Töne produzieren. Wie bei Musikinstrumenten besteht die Möglichkeit, durch Wiederholung derselben Sequenz dieselben Resultate herbeizuführen, was bei der Komplexität des hier besprochenen Procederes und der entsprechenden Tatsache, dass in der Logik von Glitches eine scheinbar insignifikante kleine Änderung drastische Resultate produzieren kann,[9] bloss eine theoretische Konklusion ist.

Die Instrumenten Metaphorik reicht dabei weiter zurück in die Richtungen des Circuit Bendings und der Videokunst, die beide starke Einflüsse auf das Glitch Art Genre verzeichnen.


Über sein Stück mit dem pointierten Titel Information schreibt Bill Viola: "Information is the manifestation of an aberrant electronic nonsignal passing through the video switcher in a normal color TV studio, and being retrieved at various points along its path. The resulting electronic perturbations affected everything else in the studio. After this error was discovered and traced back, it became possible to sit at the switcher as if it were a musical instrument and learn to 'play' this nonsignal."[10]


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Bill Viola. Information. 1973. Screenshot.

Diese erhellende Formulierung der Spielbarkeit des Nonsignals markiert einen wichtigen Aspekt, der auch für die spätere Glitch Art von Belang ist. Viola beschreibt, was Menkman unter der Domestizierung von Glitches behandelt und worin sie den Verlust dessen radikaler Basis verortet.[11] Dass technische Geräte, durch welche Störungskunst und Glitch Art kreiert werden, mit Instrumenten verglichen werden hängt nicht etwa mit rein musikalischen Argumenten zusammen, sondern mit der Gegebenheit, dass beim Lernen von Instrumenten Übung und Wiederholung zentral sind, das experimentelle aneinander Antasten von Spieler:innen und Instrumenten und die kybernetische Feedback-Logik in der Beobachtung und Abgleichung von Input und Output. Es ist wohl hier auch kein Zufall, dass die Doppeldeutigkeit von Instrumenten neben den musikalischen auch die technischen (Gerätekonsolen) einbezieht und damit die Wortwurzel aufleben lässt: "[Instrument]aus lat. īnstrūmentum ‘Gerätschaft aller Art, Werkzeug[…]"[12] Unter dieser Perspektive wird ersichtlich, wieso die Domestizierung von Glitch diesen transformiert und dessen Störungscharakter verändert, von einer Logik des Fehlers, die auf das System aufmerksam macht, hin zu einer die in das System integriert wird, um dieses zu transformieren.

Doch nicht zuletzt ist die Bedienung der Bally Astrocade zur Generierung der in Digital TV Dinner abgebildeten Glitches auch eine abgefilmte Performance: Eine Person, die ein Instrument spielt und deren Kenntnis und Fingerfertigkeit sich im Resultat widerspiegelt. Während wir als Zuschauende eine Serie von technischen Störungseffekten wahrnehmen, die eigentlich nur die korrekte Verarbeitung von inkorrekter Behandlung einer proprietären Technologie repräsentieren, erahnen wir darin eine Fünkchen Zufall oder erhoffen zumindest, dies zu erkennen. Der Performance-Aspekt repositioniert das, was aus ausgeführtem, vorprogrammiertem Code erscheint, hin zu partikularen Berührungen eines Körpers, der eine Maschine bedient.[13] In den vollkommen programmierten Systemen, in denen sogar der Glitch noch eine erfolgreiche Funktion darstellt, nämlich eine "failure to fully fail"[14], wird die Spur der Glitch Artists zu einem Knotenpunkt des Diskurses – unabhängig davon, ob diese den Glitch finden oder hervorbringen.

Damit ist ein wichtiges Verhältnis von Glitch Art angesprochen, welches in diesem Kontext die Verbindung von Kontingenz und Code respektive Algorithmus betrifft. Glitch Art ist nicht zufällig im strikten Sinne – wenn es denn so etwas überhaupt gibt –, sondern innerhalb eines Spielraums pseudo-aleatorisch. Die Möglichkeiten der jeweiligen Glitches sind durch die Programme, Codecs und Algorithmen insofern vorgegeben, als dass die Datei nur bis zu einem bestimmten Grad verändert werden kann, da die Störung sonst in einem kompletten Crash resultiert. Ihr Rahmen ist also durch die Prozessierbarkeit der Fehler gesetzt. Des Weiteren sind die Glitches pseudo-aleatorisch, weil die Resultate, die sie hervorbringen zwar zufällig erscheinen, aber tatsächlich vollkommen reproduzierbar sind.[15] Bei Digital TV Dinner und bei Glitches im Generellen sind die Outputs theoretisch gänzlich vorhersehbar. Hypothetische Performer:innen könnten die Resultate hervorsagen und dementsprechend das Gerät oder das Programm in Aussicht auf bestimmte Ziele hin spielen. [Vgl. 4.3.3. Glitches in Games]


In Digital TV Dinner wird dieser spielerische Umgang zur Intervention. Der gewalttätige Unterbruch des Informationsflusses, die Sabotage wird zur produktiven, kreativen Aktivität, die das System nicht zerstört,[16] sondern von aussen erweitert und von innen symbolisch verändert. Der interventive Charakter von Digital TV Dinner zeigt sich neben diesen Eingriffen in die reguläre Funktionsweise der Spielkonsole deutlicher in der historischen Verortung des Videos als sozio-technisches Gefüge. Die Verwendung eines billigen Heimcomputers – "the absolute cheapest one can go in home computer art"[17] – und die damit einhergehende theoretische Möglichkeit der Demokratisierung durch Nachahmungen und Adaptionen steht im Zeichen der 1960er und -70er Jahre Gegenkultur in den USA und konkreter an der Seite von Guerilla Television, dessen Programm die Ideologie hinter Glitch Art bereits anklingen lässt:


"Guerilla Television is grassroots television. It works with people, not up from above them. On a simple level, this is no more than 'do-it-yourself-TV'. But the context for that notion is that survival in an information environment demands information tools."[18]


Diese Bewegungen wandten sich nicht zuletzt über die Videokunst auf technischer Ebene gegen den Militärisch-industriellen Komplex und suchten Alternativen zum Geschäftsmodell des Rundfunkfernsehers, welcher die Zuschauenden durch eine Ungleichverteilung der Technologien und Zugänglichkeit von Medienproduktionstools zu passiven Konsument:innen machte.[19] Es ist dieser gesellschaftliche, künstlerische, aktivistische und technologische Kontext, der die ursprüngliche Entstehung und Distribution von Digital TV Dinner konstituiert[20] und den Glitch Art bis heute in angepasster Weise adaptiert.

[1] Cartridge tilting. (Glitchipedia). https://errors.fandom.com/wiki/Cartridge_tilting (Stand: 17.02.2023). [2] Fenton, Jamie. Private E-Mail. Zit. nach: Betancourt, 2017: S. 1. [3] The Electronic Visualization Laboratory, founded in 1973, was devoted to interdisciplinary work – specifically the exploration and development of computer imaging as it intersected with video art. About EVL. (electronic visualization laboratory). https://www.evl.uic.edu/about (Stand: 17.02.2023). [4] Vgl. Betancourt, 2017: S. 1. [5] Ebd.: S. 4 f. [6] Vgl. ebd.: S. 4. [7] Jamie Faye Fenton. Digital TV Dinner, 2009. https://youtu.be/Ad9zdlaRvdM (Stand: 17.02.2023): Videobeschreibung. [8] Ebd.: 00:01. [9] Vgl. Temkin & Manon, 2011: S. 1. [10] Electronic Arts Intermix. Information. Bill Viola. https://www.eai.org/titles/information (Stand: 17.02.2023). [11] Vgl. Menkman, 2011b: S. 55. [12] Wolfgang Pfeifer (et al). Instrument. https://www.dwds.de/wb/etymwb/Instrument (Stand: 17.02.2023). [13] Vgl. Betancourt, 2017: S. 11. [14] Manon & Temkin, 2011: S. 1. [15] Vgl. ebd.: S. 3. [16] Vgl. Betancourt, 2017: S. 9. [17] Jamie Faye Fenton. Digital TV Dinner, 2009. https://youtu.be/Ad9zdlaRvdM (Stand: 17.02.2023): 00:02. [18] Shamberg & Raindance Corporation, 1971: S. 8. [19] Zu Video Art als Gegenbewegung zum Fernsehen und Film vgl. Galloway, 2004: S. 209 ff. [20] Vgl. Betancourt, 2017: S. 2.

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